Kontinuität und Wandel. Neue Ansätze zur Buchgeschichte der Habsburgermonarchie im langen 18. Jahrhundert

Kontinuität und Wandel. Neue Ansätze zur Buchgeschichte der Habsburgermonarchie im langen 18. Jahrhundert

Organisatoren
Mona Garloff, Innsbruck; Thomas Wallnig, Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Wien; Institut für Geschichte, Universität Wien
Ort
digital (Wien)
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.11.2021 - 26.11.2021
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Von
Thomas Assinger, Fachbereich Germanistik, Neuere deutsche Literatur, Paris-Lodron-Universität Salzburg / Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Wien; Marcus Stiebing, Professur für Geschichte der Frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität der Bundeswehr Hamburg / Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Wien

Im Rahmen der internationalen Tagung kamen Forscher:innen aus Geschichtswissenschaft, Buchwissenschaft, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft zusammen, um neue Ansätze zur Buchgeschichte zu diskutieren. Die Tagung nahm sich eines fundamentalen Desiderats der Forschung an: einer integralen Geschichte des Buchwesens der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert. Die immer noch wirksame These von der „bibliopolischen Zweiteilung“ des Heiligen Römischen Reichs (J. Goldfriedrich) in einen produktiveren protestantischen Norden und einen vermeintlich rückständigen katholischen Süden zeitigte perspektivische Verkürzungen, die eine Untersuchung der Eigenlogiken der Buchkultur in den südlichen Territorien des Reichs und in den Ländern der Habsburgermonarchie lange Zeit blockierten. Entgegen dieser traditionellen Marginalisierung hatten Mona Garloff und Thomas Wallnig dazu eingeladen, neue Zugänge zur Buchgeschichte im vielsprachigen, multikonfessionellen und multikulturellen zentraleuropäischen Kommunikationsraum der Habsburgermonarchie in Dialog zu bringen. Durch die Zusammenführung unterschiedlicher fachlicher Perspektiven und nationaler Forschungstraditionen sollten die Möglichkeiten einer interdisziplinären und transnationalen Buchgeschichte ausgelotet werden.

In ihrer Einführung formulierte MONA GARLOFF (Innsbruck) das Projekt einer Buchgeschichte der longue durée für das 18. Jahrhundert. So sei die erste Jahrhunderthälfte von der Forschung bislang lediglich punktuell erschlossen worden, und das trotz epochemachender Phänomene wie der Entstehung von Großverlagen. Für dieses Projekt seien die Räume einer Buchgeschichte der Habsburgermonarchie neu zu bewerten. Die Revision der räumlichen Dimension der Buchgeschichte sei die notwendige Voraussetzung für ein Verständnis der Eigengesetzlichkeit und ökonomischen Gleichrangigkeit des süddeutschen Verlagswesens und seiner Absatzmärkte in den Erblanden. Die hohe Mobilität und internationale Vernetzung des Buchgewerbes erfordert zudem eine angemessene Relationierung von frühneuzeitlichen Zentren der Buchproduktion wie Augsburg und Nürnberg und den Peripherien des Handels und der Rezeption. Garloff verwies auf grundlegende Arbeiten in der von Peter R. Frank initiierten Reihe zur „Topographie des Buchwesens in der Habsburgermonarchie“, auf die von Frédéric Barbier, István Monok u.a. betreute Reihe „L’Europe en réseaux“ und auf die „Geschichte des Buchhandels in Österreich“ von Norbert Bachleitner, Franz M. Eybl und Ernst Fischer.

Die erste Sektion befasste sich mit dem Verhältnis von Literatur und Aufklärung in buchgeschichtlicher Hinsicht. NORBERT BACHLEITNER (Wien) wandte sich der Frage zu, ob die literarische Kultur Österreichs im 18. Jahrhundert als eigenständiges literarisches Feld aufgefasst werden könne, und plädierte für die Zusammenführung einer feldtheoretisch fundierten Literaturgeschichte mit der Buchgeschichte. Bachleitner setzte sich mit der These auseinander, dass die Literaturproduktion innerhalb der Habsburgermonarchie rückständig gewesen sei. Die Revision der einschlägigen Argumente zeige, dass zwar allenfalls von niedrigen Vorstufen eines literarischen Felds die Rede sein könne, es aber einen eigenständigen österreichischen Buchmarkt gegeben habe. Eine buchgeschichtlich informierte feldtheoretische Perspektive ermögliche es, die Entstehung und Verbreitung von Literatur und entsprechenden Genres relational hinsichtlich ihrer präferierten Kommunikationsgemeinschaften zu analysieren. Für Autor:innen und Texte aus der Habsburgermonarchie postulierte Bachleitner diesbezüglich ein Prinzip der Subsidiarität literarischer Kommunikation, das die Adressierung von Publikationen nach ihrer intendierten Reichweite (von lokalen über regionale Räume bis hin zum süddeutsch-katholischen oder deutschsprachigen Raum insgesamt) staffelt.

MICHAEL WÖGERBAUER (Prag) führte Buchhandels- und Geschlechtergeschichte zusammen und untersuchte anhand der Prager Druckerin Sophie Rosenmüller, wie sie, gestützt auf Druckprivilegien und durch die Spezialisierung auf Kalender, den Bestand des Verlages Rosenmüllers über einen längeren Zeitraum sicherte und sich als Akteurin auf dem Buchmarkt etablierte. Wögerbauer zeigte, dass sich Kontinuitäten innerhalb der Buchhandelsgeschichte anhand von Druckprivilegien für spezifische literarische Gattungen nachweisen lassen. Daneben verdeutlichte er die Wechselwirkung zwischen symbolischem Kapital, das der Verlag durch das Druckprivileg für die Prager-Post-Zeitung erlangte, und ökonomischem Kapital, das durch den Absatz alltagsgebräuchlicher Genres generiert wurde. Durch letztere sei es möglich gewesen, Defizite, die durch den schlechteren Absatz der Zeitung entstanden, auszugleichen. Schließlich hob er die ambivalente Rolle von Privilegien hervor, die zwar geholfen hätten, den Buchmarkt zu regulieren, dessen Weiterentwicklung aber blockierten.

Mit Michael Denis widmete sich ANETT LÜTTEKEN (Zürich) einem führenden Intellektuellen der katholischen Aufklärung in Österreich und seiner buchkundlichen und buchgeschichtlichen Grundlagenarbeit. Nicht zuletzt seine „Einleitung in die Bücherkunde“ legt mit ihren zwei Bänden zur „Bibliographie“ (1777) und zur „Literargeschichte“ (1778) Zeugnis von Theorie und Praxis der an Linnéscher Terminologie orientierten Systematisierung des gesamten Buchwissens seiner Zeit ab. Dabei verfolgte Denis das Ziel einer Institutionalisierung und Professionalisierung von Buchwissen und profilierte die Bücherkunde als Projekt der Aufklärung. Die Thesen des Referats wurden in Abwesenheit der Vortragenden von den Organisator:innen verlesen.

Die zweite Sektion wandte sich verschiedenen Formen der obrigkeitlichen Regulierung des Buchhandels zu. Zunächst analysierte TOBIAS SCHENK (Wien) die Bedeutung und Funktion des Reichshofrats. Er gab Einblicke in die Reichshofratsakten als bislang vernachlässigte Quellen der Buchhandelsgeschichte und interessierte sich besonders für die Druckprivilegien. Der Reichshofrat habe eine Doppelrolle eingenommen, und zwar als kaiserliches Administrativorgan, das die Druckprivilegien ausstellte, und als Gericht, an das Untertanen im Falle von Verstößen gegen Druckprivilegien supplizieren konnten. Auch Schenk verdeutlichte den Zusammenhang zwischen symbolischem Kapital, das durch den Akt der Ausstellung der Privilegien zum Ausdruck gekommen sei, und ökonomischem Kapital, das durch diese Privilegien gesichert werden sollte. Zudem machte er auf das Zusammenspiel von Privilegien, die durch den Reichshofrat und solchen, die auf erbländischer Ebene ausgestellt wurden, aufmerksam. Drucker wie Johann Thomas von Trattner waren auf diese Weise doppelt geschützt.

SIMON PORTMANN (Trier) untersuchte den Büchernachdruck im 18. Jahrhundert und konzentrierte sich dabei vergleichend auf den süddeutschen Raum und die Habsburgermonarchie im „Nachdruckzeitalter“ (R. Wittmann) 1765 bis 1785. Aus Sicht der Regierenden habe ein Interesse an der Kontrolle der Nachdrucke bestanden, um steuernd auf die jeweilige Kulturpolitik einzuwirken. Im Fokus des Vortrags standen die sich herausbildenden „Nachdruckergesellschaften“, die durch Kooperation, Konflikt und grenzüberschreitende Netzwerkbildungen gekennzeichnet gewesen seien. Bei Nachdrucken profitierten Druckereien von der kostengünstigeren Produktion und den breiteren Vertriebsmöglichkeiten. Die Ausführungen Portmanns regten weitere Diskussionen an, etwa die Frage nach Nachdrucken als Faktor im Prozess der Kanonisierung von Texten.

Eine weitere Form der obrigkeitlichen Regulierung des Buchmarktes behandelte MARCUS STIEBING (Hamburg) , der die Versorgung verarmter (Soldaten-)Kinder um 1770 im Zuge der Bildungsreformen diskutierte. Schwerpunktmäßig behandelte er Quellen zur Normalschule St. Anna in Wien und zur Theresianischen Militärakademie, die sich in den ersten 20 Jahren ihres Bestehens von der Versorgungs- zur Ausbildungsanstalt verarmter und/oder verwaister Adels- und Soldatenkinder gewandelt habe, im Zuge der Schulreformen allerdings nicht berücksichtigt worden sei. In einem ersten Werkstattbericht rekonstruierte Stiebing die Debatten über eine kostenlose Versorgung von Kindern mit Büchern, wobei die Regierenden bzw. deren Vertreter eine Balance zwischen dem Ideal der herrschaftlichen Für- und Vorsorgeabsicht einerseits und dem Gewinnstreben der Buchdrucker und -händler andererseits finden mussten. Der Zugang zu Büchern und damit zu Bildung konnte, wie die Beispiele zeigen, nicht vorausgesetzt werden. Die Perspektive der Kindheitsgeschichte kann für die Buchgeschichte fruchtbar sein, da sie vor allem diejenigen Akteur:innen ins Zentrum rückt, die die Bücher im weitesten Sinne nutzen sollten.

Die dritte Sektion befasste sich mit Handelsnetzwerken. FRANZ M. EYBL (Wien) konzentrierte sich auf den süddeutsch-katholischen Markt um 1700 und untersuchte die Unternehmerpraktiken der Familie Heyl, die in Würzburg, Mergentheim, Augsburg und Stadtamhof ansässig war. Er hob hervor, dass sich, wie das Beispiel Quirinus Heyl (1664–1714) belegt, bereits vor 1700 Großverlage etabliert hatten. Heyl habe vor allem weniger bekannte Autoren angeworben, von denen kaum Publikationen bekannt waren. Das größte Verlagsprojekt sei die „Bibliothec“ des Andreas Glorez (1699/1700) gewesen, die eine in mehreren Folianten angewachsene Wissenssumme unbekannter Herkunft von unterschiedlicher Qualität bot. Eybl stellte die Kompilation, Serialität sowie „materialisierte Autorisierung“ von Texten als zentrale Praktiken heraus, wobei sich die Herstellung und der Handel mit gedruckten Werken am Prinzip der ökonomischen Rationalität orientierten. Dies habe zum Anwachsen der Textkompilation und zum Ausschluss bestimmter Formate geführt. Insbesondere das katholische Schrifttum habe dabei eine mentalitätsstiftende Funktion übernommen. Es wurde resümiert, dass die Originalität von Druckerzeugnissen nicht zwangsläufig für den Erhalt eines Verlages entscheidend war.

ANDREA SERLES (Wien) widmete sich dem Buchhandel auf der Donau, die als zentrale Handelsroute die Habsburgermonarchie in den überregionalen Buchhandel einband. Im Mittelpunkt standen Fragen des Handelsvolumens, der Akteure und der konkreten Waren, die verschifft wurden. Serles verdeutlichte das Potenzial der Aschacher Mautprotokolle für den Zeitraum von 1706 bis 1740 als Quelle für die Buchhandelsgeschichte, anhand derer sich die beteiligten Akteure (Transporteure, Absender, Empfänger), die regionalen Ziele sowie die gehandelten Waren (z.B. Bücher, Einzeldrucke, Papier, Tinte etc.) nachvollziehen lassen. Die Ausführungen machten deutlich, dass der Buchmarkt äußerst vielfältig und in weitere Märkte eingebunden war, und dass im Zuge des Donaubuchhandels Wissen jenseits von Büchern über die Grenzen der Habsburgermonarchie hinaus zirkulierte.

THOMAS FUCHS (Leipzig) untersuchte den Buchhandel zwischen Frankfurt, Leipzig und Wien am Beispiel der Buchhändlerfamilie Endter. Die weitverzweigte Verlegerfamilie mit Sitz in Nürnberg sei sowohl auf dem lokalen als auch auf dem internationalen Buchmarkt vertreten gewesen. Es habe sich auf den Druck und Vertrieb von Kleinschrifttum (Kalender), von evangelischer und katholischer Erbauungsliteratur sowie von Bibelübersetzungen konzentriert und seine Position durch marktnahe Produktion etablieren können. Die Ausführungen regten weitere Überlegungen an zur Materialität der Druckproduktionen, zur Nutzung von Kupferstichen, und zu bestehenden Konkurrenzen.

Die vierte Sektion setzte sich mit unterschiedlichen Genres und ihrer Relevanz für den Buchhandel in der Habsburgermonarchie auseinander. DORIS GRUBER (Wien) behandelte deutschsprachige Reiseberichte, die derzeit im FWF-Projekt „Travelogues“ erschlossen und mittels digitaler Methoden ausgewertet werden. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche Bedeutung Entstehungsraum und -zeit für die Inhalte und die Verbreitung der Reiseberichte hatten. Gruber hob hervor, dass Reiseberichte ein florierendes und im Hinblick auf die Autor:innen, Intentionen, Entstehungskontexte sowie Textinhalte äußerst heterogenes Genre waren. Hinsichtlich der Druckorte der Reiseberichte dominierten innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Leipzig und Berlin, in der Habsburgermonarchie Wien mit großem Abstand vor Brünn, Graz, Prag und Troppau. Daneben sei die Tendenz erkennbar, dass Verlage mit Reisesammlungen, also der Zusammenfassung mehrerer Reiseberichte in einem Band, zunehmend erfolgreich waren. Die vorgestellten Reiseberichte erweisen sich als äußerst fruchtbare Quellen für die Buchgeschichte, wobei weiter zu untersuchen wäre, wie, etwa im Falle von Reiseberichten über den Orient, die geringere Eigenproduktion innerhalb der Habsburgermonarchie zu erklären ist. Daneben bietet die digitale Erschließung der Reiseberichte, etwa durch Netzwerkanalyse oder Topic Modelling, neue methodische Potenziale.

KRISTINA HARTFIEL (Düsseldorf) untersuchte die Publikationsgeschichte des „Neu-eröffnete[n] Historische[n] Bilder-Saals“, einer seriellen Chronik, die zunächst in Sulzbach, dann in Nürnberg gedruckt wurde. Sie zeigte, dass der Sulzbacher Geheime Rat Andreas Lazarus Imhoff, Autor der ersten fünf Bände, gezielt vorgegangen sei, um den „Bilder-Saal“ mit bestmöglicher finanzieller Absicherung zu einem attraktiven Verlagsprodukt zu machen. Über seinen zum Katholizismus konvertierten Vater Johann Hieronymus Imhoff, den er als nominellen Autor angegeben habe, stellte er ein Privatgesuch an den Kaiser, um ein Druckprivileg zu erhalten. Zudem wurde dem Werk ein kursächsisches Druckprivileg verliehen, sodass er im Zweifel in Wien oder in Dresden an die jeweiligen Gerichte supplizieren konnte. In der Folge sei es gelungen, die Popularität des Autors und des Werks zu steigern und es zu einer überregional gefragten Marke zu entwickeln. Entscheidend seien hierfür neben den Werbepraktiken und den Netzwerken des Autors der Kaiserhof und die Konfession Imhoff Seniors gewesen.

Die Sektion zu Bibliotheken widmete sich der Errichtung bibliothekarischer Infrastrukturen, An- und Verkäufen von Büchersammlungen und den Praktiken des sekundären Handels und Gebrauchs von Büchern. ISTVÁN MONOK (Szeged) nahm den Aufbau eines Bibliothekssystems in Ungarn und Siebenbürgen im Zeitraum von 1686/90 bis 1815 in den Blick. Er skizzierte die Arbeit an einer Buchinfrastruktur als wichtigen Bestandteil des kulturellen Wiederaufbaus des Königreichs nach dem Ende der osmanischen Herrschaft. Dabei mussten Interessen der zentralen Herrschaft mit den Vorstellungen lokaler Funktionäre im Hinblick auf ökonomische, rechtliche und konfessionelle Belange ausbalanciert werden. Entlang der kulturellen Bruchlinien innerhalb Ungarns entwickelte sich ein Austausch, der die Bemühungen um eine adäquate Bibliotheksinfrastruktur intellektuell moderierte.

ATTILA VERÓK (Eger) präsentierte eine Fallstudie zu Siebenbürgen, wo aus Mangel an einem organisierten Buchhandel im 18. Jahrhundert auf „kreative Lösungen“ zurückgegriffen werden musste. Neben der Zirkulation von Büchern und Manuskripten durch Studenten an mitteldeutschen Universitäten fand der Ankauf größerer Buchbestände bislang wenig Aufmerksamkeit in der Forschung. Verók rekonstruierte den Erwerb der Gelehrtenbibliothek des aus Siebenbürgen stammenden, in Jena und Leipzig wirkenden Martin Schmeizel durch den Stadtrat von Hermannstadt 1751. Die Geschichte von Ankauf und weiterem Gebrauch von Schmeizels Bibliothek sei ein typischer Fall für die Praktiken der Buchbeschaffung in Siebenbürgen. Abschließend nannte Verók Beweggründe für den Ankauf ganzer Bibliotheken durch lokale Obrigkeiten in der südöstlichen Peripherie der Habsburgermonarchie, darunter die schnelle Erwerbsmöglichkeit größerer, thematisch kohärenter und inhaltlich erschlossener Sammlungseinheiten, die im Hinblick auf ihre öffentliche Verfügbarmachung Prestige für die Gemeinschaft und eine intellektuelle Grundlage für regionale Identitätsbildung versprachen.

STEFAN BENZ (Bayreuth) untersuchte den Buchkonsum und die Lektürepraktiken in Frauenklöstern der österreichischen Niederlande. Dafür griff er auf ein bislang kaum beachtetes Quellenkorpus zurück: die bei den Klosteraufhebungen unter Joseph II. erstellten Inventarlisten. Diese dokumentieren institutionellen Buchbesitz abseits gelehrter akademischer Eliten und erlauben Rückschlüsse auf weibliche Lektüre, die Organisation katholischer Literatur in scheinbar abseitigen Gattungen und deren Produktion. Frauenklöster werden so als relevante Player in Netzwerken katholischer Buchproduktion begreifbar. Sie waren zuverlässige Geschäftspartner, die vor allem kleineren Verlagshäusern ökonomische Stabilität über längere Zeiträume garantieren konnten. Diese wiederum passten mitunter ihr Verlagsprofil entsprechend an. Die gattungsspezifischen Segmente einer monastischen Frauenliteratur sind in großen Teilen an der populären Schnittstelle von Frömmigkeit und Wissen angesiedelt. Liturgisches findet sich neben Medizinisch-Pharmazeutischem; in reger Verwendung stehen für weibliches Lesepublikum konzipierte Sammlungen von Heiligenviten. Im anschließenden Gespräch wurden Parallelen mit der Klosterkultur im süddeutschen Raum hervorgehoben sowie Möglichkeiten und Grenzen von Inventarlisten als buchgeschichtliche Quellen problematisiert.

Den Abschluss der Tagung bildeten zwei Sektionen zu (Trans-)Regionalitäten von Buchproduktion, Buchhandel und Buchbesitz. Damit wurde die Leitfrage nach den Räumen einer Buchgeschichte der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert erneut aufgegriffen. ANDREAS GOLOB (Graz) widmete sich den Kontinuitäten im Grazer Buchwesen. Er rekonstruierte eine Topographie der Grazer Buchhändler im 18. Jahrhundert, die sich auf wenige Gassen rund um den Hauptplatz konzentrierten, berücksichtigte aber auch angrenzende Branchen und Gruppen von Akteur:innen, die für eine Buchgeschichte von eminenter Bedeutung sind, so Buchbinder und den Musikalien- und Landkartenhandel. Zwischen den Gewerben der Buchhändler und der Buchbinder sei es wiederholt zu Zuständigkeitskonflikten gekommen. Ergänzt wurde die Darstellung um weitere für die Buchproduktion relevante Stakeholder wie die Grazer Universität, religiöse Gemeinschaften sowie weltliche und geistliche Körperschaften. In der Diskussion wurde insbesondere die spannungsreiche Dynamik zwischen dem lokalen Handel im Filialsystem und dem Markthandel mit alternativen Sortimenten, so etwa protestantischem Schrifttum, im Kontext einer dominant katholischen Regionalhauptstadt hervorgehoben.

Die Rolle reformierter ungarischer Studenten im Buchhandel zwischen der Stadt Basel und dem Königreich Ungarn im 18. Jahrhundert nahm ÁDÁM HEGYI (Szeged) in den Fokus seiner Überlegungen. Im Gegensatz zur von der Forschung bereits rekonstruierten Unternehmung der Société Typographique de Neuchâtel, die mit professionellen Handelsvertretern im Königreich Ungarn präsent war, bestand spätestens seit den 1750er-Jahren ein dichtes Netzwerk, in dem reformierte Studenten, Professoren und Verleger in der Stadt Basel Bücher für die ungarischen Absatzmärkte produzierten und das teils verbotene Schrifttum über unterschiedliche Handelsrouten ins Land schafften. Drucker und Verleger gingen regelrechte Kooperationen mit ungarischen Studenten ein. Solche informellen Unternehmen waren aufgrund der kulturellen Präsenz ungarischer Studenten in der Schweiz mit einem nur minimalen Geschäftsrisiko verbunden. Insbesondere die konkreten Handelsrouten und Techniken des klandestinen Buchtransports wurden in der Folge diskutiert.

Eine andere Perspektive auf die Buchgeschichte des Königreichs Ungarn wählte ÁGNES DÓBÉK (Budapest), die sich mit italienischen Büchern und ihrer Leserschaft in Ungarn in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts befasste. Sie ging sowohl auf die Präsenz italienischsprachiger Bücher als auch auf italienische Übersetzungsliteratur in lateinischer, ungarischer oder deutscher Sprache ein, deren Verbreitung insbesondere im kirchlichen Kontext verortet werden müsse; religiöse Literatur macht denn auch das weitaus größte Segment der nachweisbaren Bücher aus. Eine zentrale Quelle sind Bibliotheksinventare, wobei vor allem Sammlungen von Bischöfen und Adeligen italienische Literatur in großer Menge enthalten. Italienischsprachige Bücher wurden in Ungarn selbst kaum gedruckt; sie konnten verhältnismäßig einfach über Handelsbeziehungen mit Italien und Österreich bezogen werden. In der Diskussion wurde neben der dominant italienischen adeligen Theaterkultur Ungarns auf eine von ungarischen Bischöfen orchestrierte Druckpraxis im kleinen Stil hingewiesen, durch die lokale Drucker italienische Theologie in lateinischer Sprache für ungarische Pfarren verfügbar machten.

MICHAEL SPAN (Innsbruck) schließlich verfolgte die Frage nach den Verlagsorten und Gattungen von Büchern in privatem Besitz im ländlichen Raum der Habsburgermonarchie. Ausgehend vom FWF-Projekt „Reading in the Alps“ ging es um die Auswertung von Verlassenschafts- und Stellungsinventaren aus dem Südtiroler Stubaital mit Bruneck und Umgebung aus einem Zeitraum von 50 Jahren. Vertieft durch das Fallbeispiel der Büchersammlung des Bierbrauers Johann Adam Kirchberger (1722–1761) wurden mögliche Rückschlüsse auf Handelsrouten und Vertriebsnetzwerke von Büchern in den alpinen Peripherien der Habsburgermonarchie diskutiert. Besondere Relevanz hatten in Vortrag und Diskussion methodische Überlegungen zum Umgang mit Inventaren als Quellen der Buchgeschichte und zu Problemen ihrer Erschließung. Die Ergebnisse zeigen eine ganz und gar katholisierte Leselandschaft, für deren Versorgung süddeutsche Verlage mit Geschäftspräsenz in Innsbruck besonders wichtig gewesen sein dürften.

THOMAS WALLNIG (Wien) rekapitulierte in seinem Abschlusskommentar die zentralen Herausforderungen für eine integrale Buchgeschichte der Habsburgermonarchie (überkommene Narrative und verkürzte Perspektiven, unsaubere Daten und unzuverlässige Quellenlagen, prekäre institutionelle und akademische Präsenz, fehlender Dialog zwischen Disziplinen und nationalen Forschungstraditionen) und skizzierte mit Bezug auf die einzelnen Beiträge vier komplementäre Forschungsfelder einer solchen Buchgeschichte: 1. die Bereitstellung und kritische Sichtung von Quellen und Daten und Überlegungen zu ihrer Modellierung, 2. die Untersuchung von Öffentlichkeiten, Rezeptions-, Zensur- und Rechtspraxis in Fallstudien, 3. Fallstudien zu Objekten im Rahmen neuerer materieller Kulturforschung in Verbindung mit Handels- und Wirtschaftsgeschichte, und 4. Fallstudien zu Texten und Ideen im Rahmen einer avancierten Intellectual History mit Schwerpunkten auf intellektuellen Marken wie Konfessionen oder Disziplinen des Wissens, an denen Autoren, Verleger, Händler und andere Gruppen von Akteur:innen im Verbund wirkten.1

Konferenzübersicht:

Mona Garloff (Innsbruck): Einführung. Methodische Ansätze zur Buchgeschichte der Habsburgermonarchie des 18. Jahrhunderts

Sektion 1: Literatur und Aufklärung

Norbert Bachleitner (Wien): Bilden Literatur und Buchmarkt im Österreich des 18. Jahrhunderts ein literarisches Feld?

Michael Wögerbauer (Prag): Privilegien, Kalender, Kontinuität. Erwägungen am Fallbeispiel der Prager Buchdruckerin Sophie Rosenmüller

Anett Lütteken (Zürich): Michael Denis und der „Ocean“ der Bücherkunde: Einblicke in Theorie und Praxis der Systematisierung des neuzeitlichen Buchwissens

Sektion 2: Obrigkeitliche Regulierung

Tobias Schenk (Wien): Der Reichshofrat als institutioneller Faktor des Buchhandels in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie

Simon Portmann (Trier): Der Büchernachdruck im 18. Jahrhundert

Marcus Stiebing (Hamburg): Bücher für die Kinder. Institutionen und Akteure des Schulbuchhandels in der Habsburgermonarchie – eine Bestandsaufnahme

Sektion 3: Handelsnetzwerke

Franz M. Eybl (Wien): Quirinus Heyls Textfabrik. Nachdruck, Serialität und Kompilation auf dem süddeutsch-katholischen Markt um 1700

Andrea Serles (Wien): Mehr als Bücher – Buchhändler und ihr Warensortiment im Donauhandel des frühen 18. Jahrhunderts

Thomas Fuchs (Leipzig): Die Endter-Firmen in Nürnberg um 1700 und der Buchhandel zwischen Frankfurt, Leipzig und Wien

Sektion 4: Genres

Doris Gruber (Wien): Reiseberichte aus der Habsburgermonarchie. Schwerpunkte – Kontinuitäten – Verlagsprogramme

Kristina Hartfiel (Düsseldorf): „Pour procurer à cet ouvrage l`appuy et l`applaudissement de la Cour“ – die Publikationsgeschichte des „Neu-eröffneten Historischen Bilder-Saals“ im langen 18. Jahrhundert

Sektion 5: An- und Verkäufe von Bibliotheken

István Monok (Szeged): Building of a Library System of the Hungarian Kingdom and Principality of Transylvania in the Framework of the New Empire (1686/1690–1815)

Attila Verók (Eger): Kreative Lösung aus Mangel an einem organisierten Buchhandel in Siebenbürgen: Ankauf von Bibliotheken

Stefan Benz (Bayreuth): Leserinnen in Frauenklöstern. Beobachtungen zum Buchkonsum in den österreichischen Niederlanden, süddeutsch kontextualisiert

Sektion 6: (Trans-)Regionalitäten I

Andreas Golob (Graz): Kontinuitäten im Grazer Buchwesen des langen 18. Jahrhunderts

Ádám Hegyi (Szeged): Wie hat sich der Buchhandel zwischen der Stadt Basel und dem Königreich Ungarn im Laufe des 18. Jahrhunderts modernisiert? Die Rolle der reformierten Studenten bezüglich der Umwandlung des Buchhandels

Sektion 7: (Trans-)Regionalitäten II

Ágnes Dóbék (Budapest): Italian Books and Their Readers in Hungary (1740–1800)

Michael Span (Innsbruck): (Trans-)Regionalität im Buchhandel des 18. Jahrhunderts. Verlagsorte von Büchern aus privatem Besitz im ländlichen Raum Tirols

Thomas Wallnig (Wien): Abschlusskommentar

Anmerkung:
1 Weiterführende Informationen finden sich auf dem Blog des im Entstehen begriffenen Forschungsnetzwerks „Book History in the Habsburg Monarchy“: https://books18c.hypotheses.org/